süße-Gedichte Goethe
Johann Wolfgang Goethe 1749-1832
Schäfers Klagelied
Da steh ich tausendmal
An meinem Stabe gebogen
Und schaue hinab in das Tal.
2. Dann folg ich der weidenden Herde,
Mein Hündchen bewahret mir sie,
Ich bin herunter gekommen
Und weiß doch selber nicht wie.
3. Da stehet von schönen Blumen
Die ganze Wiese voll;
Ich breche sie, ohne zu wissen,
Wem ich sie geben soll.
4. Und Regen, Sturm und Gewitter
verpaß ich unter dem Baum.
Die Türe dort bleibet verschlossen;
Denn alles ist leider ein Traum.
5. Es stehet ein Regenbogen
Wohl über jenem Haus.
Sie aber ist weggezogen,
Und weit in das Land hinaus.
6. Hinaus in das Land und weiter,
Vielleicht gar über die See.
Vorüber, ihr Schafe, vorüber.
Dem Schäfer ist gar so weh.
Nähe des Geliebten
Ich denke Dein, wenn mir der Sonne Schimmer
Vom Meere strahlt;
Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer
In Quellen malt.
Ich sehe dich, wenn auf dem fernen Wege
Der Staub sich hebt;
In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege
Der Wandrer bebt.
Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen
Die Welle steigt.
Im stillen Haine geh ich oft zu lauschen,
Wenn alles schweigt.
Ich bin bei dir, du seist auch noch so ferne,
Du bist mir nah!
Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne.
O wärst du da!
Vermächtnis
Das Ewge regt sich fort in allen,
Am Sein erhalte dich beglückt!
Das Sein ist ewig: denn Gesetze
Bewahren die lebendgen Schätze,
Aus welchen sich das All geschmückt.
Das Wahre war schon längst gefunden,
Hat edle Geisterschaft verbunden;
Das alte Wahre, faß es an!
Verdank es, Erdensohn, dem Weisen,
Der ihr, die Sonne zu umkreisen,
Und dem Geschwister wies die Bahn,
Sofort nun wende dich nach innen:
Das Zentrum findest du da drinnen,
Woran kein Edler zweifeln mag.
Wirst keine Regel da vermissen:
Denn das selbständige Gewissen
Ist Sonne deinem Sittentag.
Den Sinnen hast du dann zu trauen,
Kein Falsches lassen sie dich schauen,
Wenn dein Verstand dich wach erhält.
Mit frischem Blick bemerke freudig
Und wandle sicher wie geschmeidig,
Durch Auen reichbegabter Welt.
Genieße mäßig Füll und Segen;
Vernunft sei überall zugegen,
Wo Leben sich des Lebens freut.
Dann ist Vergangenheit beständig,
Das Künftige voraus lebendige
Der Augenblick ist Ewigkeit.
Und war es endlich dir gelungen,
Und bist du vom Gefühl durchdrungen:
Was fruchtbar ist, allein ist wahr
Du prüfst das allgemeine Walten,
Es wird nach seiner Weise schalten,
Geselle dich zur kleinsten Schar.
Und wie von alters her, im stillen,
Ein Liebewerk nach eignem Willen
Der Philosoph, der Dichter schuf,
So wirst du schönste Gunst erzielen:
Denn edlen Seelen vorzufühlen
Ist wünschenswertester Beruf.
Ich komme bald ihr goldene Kinder
Ich komme bald, ihr goldnen Kinder,
Vergebens sperret uns der Winter
In unsere warmen Stuben ein
Wir wollen uns zum Feuer setzen
Und tausendfältig uns ergötzen,
Uns lieben wie die Engelein.
Wir wollen kleine Kränzchen winden,
Wir wollen kleine Sträußlein binden
Und wie die kleinen Kinder sein.
Nur wer die Sehnsucht kennt
Nur wer die Sehnsucht kennt,
weiß was ich leide.
Allein und abgetrennt von aller Freude,
seh ich ans Firmament nach jener Seite.
Ach! Der mich liebt und kennt, ist in der Weite.
Es schwindelt mir, es brennt mein Eingeweide.
Nur wer die Sehnsucht kennt weiß was ich leide!
Harfenspieler
Ach! der ist bald allein;
Ein jeder lebt, ein jeder liebt
Und läßt ihn seiner Pein.
Ja! laßt mich meiner Qual!
Und kann ich nur einmal
Recht einsam sein,
Dann bin ich nicht allein.
Es schleicht ein Liebender lauschend sacht,
Ob seine Freundin allein?
So überschleicht bei Tag die Nacht
Mich Einsamen die Pein,
Mich Einsamen plagt die Qual.
Ach, werd ich erst einmal
Einsam im Grabe sein,
Da läßt sie mich allein!
Hätt ich irgendwo Bedenken
Dieses Baums Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Gibt geheimen Sinn zu kosten,
Wie’s den Wissenden erbaut.
Ist es e i n lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es zwei, die sich erlesen,
Daß man sie als e i n e s kennt?
Solche Fragen zu erwidern
Fand ich wohl den rechten Sinn;
Fühlst du nicht an meinen Liedern,
Daß ich eins und doppelt bin?
Hätt ich irgend wohl Bedenken,
Balch, Bockhara, Samarkand,
Süßes Liebchen, dir zu schenken,
Dieser Städte Rausch und Tand?
Aber frag einmal den Kaiser,
Ob er dir die Städte gibt?
Er ist herrlicher und weiser;
Doch er weiß nicht, wie man liebt.
Herrscher, zu dergleichen Gaben
Nimmermehr bestimmst du dich!
Solch ein Mädchen muß man haben
Und ein Bettler sein wie ich.
Jesus fühlte rein und dachte
Nur den einen Gott im Stillen;
Wer ihn selbst zum Gotte machte,
Kränkte seinen heilgen Willen.
Und so muß das Rechte scheinen,
Was auch Mahomet gelungen;
Nur durch den Begriff des Einen
Hat er alle Welt bezwungen.
Mir willst du zum Gotte machen
Solch ein Jammerbild am Holze?
Und ich will nicht besser scheinen.
Als es sich mit mir ereignet;
Salomo verschwur den seinen,
Meinen Gott hab ich verleugnet.
An den Mond
Füllest wieder Busch und Tal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz;
Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
Wie des Freundes Auge mild
Über mein Geschick.
Jeden Nachklang fühlt mein Herz
Froh und trüber Zeit,
Wandle zwischen Freud’ und Schmerz
In der Einsamkeit.
Fließe, fließe, lieber Fluß!
Nimmer wird’ ich froh!
So verrauschte Scherz und Kuß,
Und die Treue so.
Ich besaß es doch einmal,
was so köstlich ist!
Daß man doch zu seiner Qual
Nimmer es vergißt!
Rausche, Fluß, das Tal entlang,
Ohne Rast und Ruh;
Rausche, flüstre meinem Sang
Melodien zu!
Wenn du in der Winternacht
Wütend überschwillst,
Oder um die Frühlingspracht
Junger Knospen quillst.
Selig, wer sich vor der Welt
Ohne Haß verschließt,
Einen Freund am Busen hält
Und mit dem genießt!
Was von Menschen nicht gewußt,
Oder nicht bedacht,
Durch das Labyrinth der Brust
Wandelt in der Nacht.
Die Frösche
Ein großer Teich war zugefroren;
Die Fröschlein, in der Tiefe verloren,
Durften nicht ferner quaken, noch springen,
Versprachen sich aber, im halben Traum,
Fänden sie nur da oben Raum,
Wie Nachtigallen wollten sie singen.
Der Tauwind kam, das Eis zerschmolz,
Nun ruderten sie und landeten stolz
Und saßen am Ufer weit und breit
Und quakten, wie vor alter Zeit.
Herbstgefühle
Fetter grüne, du Laub,
Am Rebengeländer
Hier mein Fenster herauf!
Gedrängter quellet,
Zwillingsbeeren, und reifet
Schneller und glänzend voller!
Euch brütet der Mutter Sonne
Scheideblick, euch umsäuselt
Des holden Himmels
Fruchtende Fülle;
Euch kühlet des Mondes
Freundlicher Zauberhauch,
Und euch betauen, ach!
Aus diesen Augen
Der ewig belebenden Liebe
Vollschwellende Tränen.
Wanderers Nachtlied
Der du von dem Himmel bist,
Alles Leid und Schmerzen stillest,
Den, der doppelt elend ist,
Doppelt mit Erquickung füllest,
Ach, ich bin des Treibens müde!
Was soll all der Schmerz und Lust?
Süßer Friede,
Komm, ach komm in meine Brust!
Die wandelnde Glocke
Es war ein Kind, das wollte nie
Zur Kirche sich bequemen,
Und Sonntags fand es stets ein Wie,
Den Weg in’s Feld zu nehmen.
Die Mutter sprach: Die Glocke tönt,
Und so ist dir’s befohlen,
Und hast du dich nicht hingewöhnt,
Sie kommt und wird dich holen.
Das Kind, es denkt: die Glocke hängt
Da droben auf dem Stuhle.
Schon hat’s den Weg ins Feld gelenkt,
Als lief es aus der Schule.
Die Glocke, Glocke tönt nicht mehr,
Die Mutter hat gefackelt.
Doch welch’ ein Schrecken! Hinterher
Die Glocke kommt gewackelt.
Sie wackelt schnell, man glaubt es kaum;
Das armen Kind im Schrecken
Es läuft, es kommt, als wie im Traum,
Die Glocke wird es decken.
Doch nimmt es richtig seinen Husch
Und mit gewandter Schnelle
Eilt es durch Anger, Feld und Busch
Zur Kirche, zur Kapelle.
Und jeden Sonn- und Feiertag
Gedenkt es an den Schaden,
Läßt durch den ersten Glockenschlag,
Nicht in Person sich laden.